Geschichte der gynäkologischen Infektiologie
Entwicklung der Infektiologie in der Frauenheilkunde und Geburtshilfe
Albert Döderlein und die Laktobazillen
Alles begann mit Albert Döderlein (1860 – 1941).
Döderleins Chef in der Universitätsklinik Leipzig, Paul Zweifel, hatte 1887 diesen Lehrstuhl von Carl Siegmund Franz Credé übernommen, der die Idee, die Hände vor der Untersuchung von Schwangeren mit Chlorkalk zu waschen, von Semmelweiss übernommen und 1881 die nach ihm benannte Prophylaxe mit Silbernitratlösung zur Vermeidung von Augeninfektionen durch Gonokokken eingeführt hatte. In dieser wissenschaftlich spannenden Aufbruchstimmung wurde Döderlein angeregt, die Scheidenflora von Schwangeren zu untersuchen und beschrieb 1887 erstmals unter dem Titel „Untersuchunungen über das Vorkommen von Spaltpilzen in den Lochien des Uterus und der Vagina gesunder und kranker Wöchnerinnen“ als 27Jähriger die später nach ihm benannten Milchsäurebakterien und ihr Wechselspiel mit Bakterien und Pilzen. Das Wissen wurde von ihm dann 1892 unter dem berühmt gewordenen Titel „das Scheidensekret und seine Bedeutung für das Puerperalfieber“ zusammengefasst.
Maunu af Heurlin (1914) aus Helsingfors, der auch in der Charité arbeitete, war wohl der Erste neben Döderlein, der sich als Frauenarzt ausführlich mit »bakteriologischen Untersuchungen der Genitalsekrete der nicht Schwangeren und nichtpuerperalen Frau vom Kindes- bis ins Greisenalter unter physiologischen und gynäkologisch-pathologischen Verhältnissen« auseinander setzte und dabei erstmals versuchte, »Reinheitsgrade« nach bakteriologischen Gesichtspunkten zu erstellen.
Robert Schröder (1921), damals noch Oberarzt der Universitätsfrauenklinik Rostock, modifizierte die später nach ihm benannten Reinheitsgrade und teilte sie anhand von 288 Fällen in 3 große bakteriologisch unterschiedliche Gruppen ein. Diese Einteilung ist heute überholt.
Ludwig Nürnberger (1930). Direktor der Universitätsfrauenklinik in Halle, stellte auf 463 Seiten das damalige Wissen über Scheideninfektionen dar. Er setzte sich ausführlich mit den so genannten Reinheitsgraden der Scheide auseinander und schloss sich der Meinung Döderleins an, lediglich ein bakteriologisch normales von einem bakteriologisch pathologischen Scheidensekret zu unterscheiden.
Ein neuer und damals moderner Akzent wurde von Otto Jirovec gesetzt, der mit Rudolf Peter, dem Vater der Kindergynäkologie, an der Karls-Universität Prag arbeitete und mit seiner »Klassifikation der Vaginalbiocoenose auf sechs Grundbildern« (Jirovec et al. 1948) eine neue Einteilung vornahm.
Sie hatte bis vor wenigen Jahre Gültigkeit im deutschsprachigen Raum und unterschied 6 verschiedene Bilder (I normal, II nicht eitrig mit gemischter Bakterienflora, wir würden heute dazu bakterielle Vaginose sagen, III eitriger rein bakterieller Ausfluss, IV Gonorrhö, V Trichomoniasis, VI Vaginalmykose).
Herman L. Gardner und Gardnerella vaginalis
Herman Lawrence Gardner (15.5.1912-14.12.1982) stellte auf dem 22. Jahrestreffen der Central Association of Obstetricians and Gynecologists in St. Louis 1954 eine preisgekrönte Arbeit vor, die er kurz darauf unter dem Titel »Haemophilus vaginals vaginitis – a newly defined specific infection previously classified ‚‘non-specific‘ vaginitis« ausführlich publizierte (Gardner und Dukes 1954, 1955). Alle zu Grunde liegenden Untersuchungen hatte Gardner selbst durchgeführt, alle bakteriologischen waren vom Co-Autor im Texas Medical Center vorgenommen worden. Dabei fanden sie bei 141 von 1181 untersuchten Frauen (12%) kulturell ein gramnegatives Stäbchen, das sie Haemophilus vaginalis nannten. Kurz vor der Publikation der Arbeit war es bereits von einem Urologen beschrieben worden (Leopold 1953). Gardner und Dukes fanden, dass die mikroskopische Untersuchung des Vaginalsekretes von besonderer Bedeutung sei. Vermehrte Leukozyten und nennenswerte Infektionszeichen der Vagina fehlten. Die Autoren versuchten, die 4 Koch-Postulate einer auf Bakterien bezogenen Infektionskrankheit auch hier zu testen. Das erste Postulat: Das Bakterium muss in jedem Fall der Krankheit gefunden werden. Hier wurde in 92% der Patientinnen Haemophilus vaginalis gesehen. Das zweite Postulat: Es muss isoliert werden können und in einer Reinkultur wachsen. Auch dies gelang. Das dritte Koch-Postulat: Das Bakterium in Reinkultur muss, wenn es inokuliert wird, wieder die Erkrankung hervorrufen. Gardner und Dukes fanden 13 freiwillige gesunde Frauen, die mit Reinkulturen von Haemophilus vaginalis infiziert wurden. 10 von ihnen entwickelten keine Erkrankung und hatten auch keine positiven Kulturen hinterher. 2 der Patientinnen hatten positive Kulturen 2 und 3 Monate lang ohne klinische Zeichen. Lediglich bei einer Patientin wurde das dritte Koch-Postulat erfüllt. Gardner und Dukes glaubten allerdings, dass diese Fehlversuche am nicht optimalen Kulturmedium des Labors lägen. Das vierte Koch-Postulat: Das Bakterium muss danach wieder rekultiviert werden können. Dies gelang bei der einen erfolgreich inokulierten Patientin.
Danach gaben sie 15 vaginal gesunden freiwilligen Frauen den Fluor von Frauen mit »Haemophilus-vaginalis-Vaginitis« in die Scheide. Dabei bekamen 11 der 15 infizierten Patientinnen die typischen Symptome der heute so genannten bakteriellen Vaginose, davon 8 innerhalb von 7 Tagen.
Gardner und Dukes waren überzeugt, dass diese »Haemophilus-vaginalis-Vaginitis« eine sexuell übertragbare, neu entdeckte Krankheit sei, da sie auch Ehemänner bzw. Paare untersucht hatten und bei 6 Männern von 9 Frauen mit Rückfällen auch den Keim isolieren konnten. Auch 25 Jahre später – Haemophilus vaginalis war längst zunächst Corynebacterium vaginale (Dunkelberg 1971) und inzwischen Gardnerella vaginalis (Greenwood u. Pickett 1980) genannt worden – blieb Gardner bei seiner Überzeugung, dass diese Erkrankung eine sexuell übertragbare sei. Mit diesen Arbeiten von Gardner und Dukes begann eine neue Aera in der Erforschung der vaginalen Infektionen.
In den 70er Jahren untersuchte David A. Eschenbach zusammen mit dem Bakteriologen King K. Holmes an der University of Washington in Seattle die bakteriologischen Störungen der Scheide sowie die Keimzusammensetzung bei Salpingitis. Weitere wichtige Impulse kamen von William J. Ledger, damals noch Los Angeles, später New York, Richard L. Sweet, San Francisco, sowie Gale B. Hill aus Durham, USA, die sich besonders mit der anaeroben Vaginalflora und ihrer Bedeutung für gynäkologische Infektionen beschäftigten.
Um 1983 finanzierte das National Institute of Child Health and Human Development der USA eine große Multicenterstudie mit dem Ziel, die Zusammenhänge zwischen Genitalinfektionen und Frühgeburtlichkeit zu untersuchen (Carey et al.1993). Die wesentlichen Köpfe dieser »VIP-Study« befinden sich in der George Washington University in Seattle um den Gynäkologen David Eschenbach und den Mikrobiologen King Holmes versammelt. Der bis heute daraus erwachsene Erkenntnisgewinn ist immens.
Die jüngere gynäkologische Infektiologie in Deutschland
Während der 60er Jahre beschäftigte man sich in Deutschland bevorzugt mit der normalen Scheidenphysiologie. Der Hygieniker und Bakteriologe Eyer (1961) aus München befasste sich kritisch mit der gestörten Mikrobiologie der Scheide und stellte fest, dass das Prinzip der ehelichen Treue einen bakteriologischen Akzent erhalte:
Die Scheide gleicht der Bakterienökologie einer abgelegenen Hofgemeinschaft, in der weder bei Mensch noch bei Tier eine Störung eintrete, solange die Ökologie der Hofgemeinschaft von außen unberührt bleibe. Glieder derselben Hofgemeinschaft sind Glieder der gleichen bakteriellen Biocoenose mit dem Effekt eines weitgehend gleichen Durchseuchungsstatus. Es verstehe sich von selbst, dass jeder Einbruch von außen das biocoenotische Gleichgewicht der Gemeinschaft störe und unter Umständen beträchtliche Folgen nach sich ziehe. Der Flüchtlingsstrom der Nachkriegszeit und die wahllose Aufnahme der Flüchtlinge in bestehende Hofgemeinschaften habe Dutzende von einschlägigen Beispielen, vor allem aus der Erregergruppe der Enterobakterien geliefert.
Die Ausführungen von Eyer, Gardner oder die von McCormack (Women as victims 1982) scheinen auch heute weder realitätsfremd noch unvernünftig.
Einen großartigen Überblick über die gesamte bekannte Literatur gab Kümmel (1971) aus Moers in seinem Buch »Das Fluor-Problem«. Er beschrieb auch als einer der Ersten eine bis heute in Methodik und Umfang in Deutschland unübertroffene Arbeit über die »Haemophilus-vaginalis-Vaginitis« (Kümmel u. Ritzerfeld 1961).
Im östlichen Teil Deutschlands hatte sich besonder Heinz Spitzbart in Leipzig und Erfurt seit den 60er Jahren mit den Laktobazillen und den Schwankungen des pH-Wertes und seinen Störungen beschäftigt und fasste das mit J. Holtorff aus Dresden und S. Engel aus Berlin unter Mitarbeit von Renate Blaschke-Hellmessen aus Dresden, W.A. Müller aus Magdeburg und Gerd Neumann, damals Berlin, in einem hervorragenden Buch über Vulvitis und Kolpitis (Spitzbart et al. 1981) zusammen.
Es ist das Verdienst von Hans A. Hirsch (1978 und 1980) und seinem Oberarzt Decker in Basel, später Tübingen, die sich mit Anaerobierinfektionen in Gynäkologie und Geburtshilfe beschäftigt hatten, die Thematik anlässlich eines ersten und zweiten Tübinger Anaerobiergespräches auch in Deutschland bekannt gemacht zu haben. Zu dieser Zeit begann auch Ernst Rainer Weissenbacher in München Kontakte zu David Eschenbach, Bill Ledger und Richard Sweeet zu knüpfen und legte so den Grundstein für die heutigen guten wissenschaftlichen Beziehungen. Etwa gleichzeitig wiesen Herbert Werner und Christina Krasemann, beide damals Bakteriologen in Bonn, in Zusammenarbeit mit dem Gynäkologen Norbert Lang in wichtigen Untersuchungen auf die anaerobe, fakultativ pathogene Flora des Genitaltraktes hin (Lang et al. 1980).
Auf der 1. Internationalen Konferenz über Vaginosis in Kristiansand (Norwegen) traf im April 1982 die Crème de la Crème der gegenwärtigen gynäkologischen Infektiologen auf Einladung des ungarischen Mikrobiologen Peter Csángó unter Anwesenheit des kurz danach verstorbenen Herman L. Gardner zusammen. Auf diesem Symposium wurde unter Mitarbeit von Carol Spiegel, David Eschenbach, King Holmes, Per-Anders Mardh, Jorma Paavonen, Lars Weström, Alona Blackwell u. a. beschlossen, das bisher unter dem Namen Haemophilus-vaginalis-Vaginitis bekannte Krankheitsbild nun bakterielle Vaginose zu nennen. Eiko E. Petersen, der ebenfalls Teilnehmer der Konferenz gewesen war, benannte die bakterielle Vaginose kurz darauf in einer deutschen Publikation »Aminkolpitis« (Petersen et al. 1983). Die Bezeichnung war ursprünglich einmal von Per-Anders Mardh scherzhaft benutzt worden (Mardh, persönliche Mitteilung 1995). Der Begriff wurde nie akzeptiert.
In der DDR hatte schon seit 1965 die Arbeitsgemeinschaft Mikrobiologie und Krankenhaushygiene in der Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe bestanden. Gründer und langjähriger Vorsitzender war Heinz Spitzbart (Leipzig/Erfurt). Mitglieder waren Renate Blaschke-Hellmessen (Dresden), Lutz Baumann (Leipzig), Helene Birnbaum (Greifswald), J. Brockmann (Halle), J. Dahl (Cottbus), L. Eckart (Halle), W. Handrick (Leipzig), Peter Hengst (Berlin), Peter Karutz (Brandenburg/Havel), Dr. Kempf (Finsterwalde), B. Löser (Dresden), Gerd Neumann (Rostock/Potsdam), H. Perlitz (Haldensleben), W. Sadenwasser (Rostock), Gisela Schuster (Magdeburg), Günther (Jena), Christa Seyffert (Leipzig), Frau Dr. Sokolowski (Magdeburg), Prof. Dr. Weise (Magdeburg), Dr. Wolff (Halle/Leipzig), Ingrid Hannig (Berlin), Ursula Schmidt (Jena), Gerd Schrader (Erfurt), H.-J. Seewald (Jena), P. Steinert (Zwickau) und A. Stelzner (Jena).
Eine besonders große Arbeitsgruppe auf dem Gebiet der gynäkologischen Infektionen arbeitete in München, wo durch die Fusion der Frauenkliniken in der Maistraße und in Großhadern unter der Leitung von Klaus Friese, dem Vorsitzenden der AGII um 2006 zusammen mit E.R. Weissenbacher, H. Spitzbart und loannes Mylonas etwa 30 Wissenschaftler und viele Doktoranden tätig waren.
Entwicklung der Mykologie in der deutschen Gynäkologie und Geburtshilfe
In der deutschsprachigen Gynäkologie und Geburtshilfe sind mykologische Themen seit etwa 100 Jahren oft nicht von Frauenärzten, sondern von Mikrobiologen oder Dermatologen beschrieben worden. Das betrifft besonders die Zeit vor etwa 1970 und das Teilgebiet der Gynäkologie. Insofern wird hier schon das allgemeine Phänomen deutlich, dass Mykologie leider nicht immer von den Fachärzten gepflegt wurde, in deren Fachgebiet Pilzerkrankungen vorkommen können. Dieses Problem ist unbefriedigend gelöst, da es auch heute in der Frauenheilkunde nur wenige gibt, die sich mit den so häufigen Genitalmykosen wissenschaftlich und professionell beschäftigen.
Pilze mussten zunächst erst einmal entdeckt werden. Wie allgemein bekannt ist, begann die Mykologie vor etwa 165 Jahren mit der kurzen Veröffentlichung über den »Favus« von Johann Lucas Schönlein und den folgenden Beiträgen von Robert Remagk, Bernhard von Langenbeck, Rudolf Virchow, Hugo Karl Plaut, Paul Gerson Unna u. a. (Meinhof 1991, Schadewaldt 1981). Wesentliche Voraussetzungen zur standardisierten kulturellen Untersuchung von Hefepilzen (und Dermatophyten) waren die von Raymond Sabouraud (1910) in seinem Buch »Les Teignes« zusammengefassten Empfehlungen.
Mykologie in der Gynäkologie
Die ersten deutschsprachigen Untersuchungen zur Vaginalmykose bzw. zu Eigenschaften von Candida albicans, die über Kasuistiken hinausreichen, stammen von Albert Döderlein, damals Privatdozent für Gynäkologie und 1. Assistenzarzt an der Universitäts-Frauenklinik in Leipzig. Seine Monographie »Das Scheidensekret und seine Bedeutung für das Puerperalfieber« (1892) ist naturgemäß berühmter wegen der ausführlichen Beschreibung der nach ihm benannten Laktobazillen. Er setzte sich aber damals auch mit der vaginalen Hefepilzbesiedlung auseinander und zitierte die bekannte Literatur. Dabei wird erkennbar, dass er eng mit Hugo Carl Plaut zusammenarbeitete. Döderlein fand ähnlich wie Haussmann (1870) und Winckel (1866), dass bei schwangeren Frauen Hefepilze häufiger in der Scheide vorkommen und im Wochenbett meist von selbst verschwinden.
Er schrieb:
Einen Anhaltspunkt dafür, warum bei Schwangeren relativ viel häufiger als bei Nichtschwangeren Soorpilze in der Scheide vorkommen, giebt, wie ich glaube, die Thatsache, dass ich Soorpilze nur aus intensiv saurem, gesundem Sekret erhielt, das bei Schwangeren in reichlicherem Maße vorhanden ist und den Soorpilzen bessere Entwickelungsbedingungen bietet als bei Nichtschwangeren. … Ich glaube nach meinen Beobachtungen vielmehr schliessen zur dürfen, dass das normale saure Scheidensekret darum die Ansiedelung der Soorpilze begünstigt, weil andere saprophytische Keime in demselben fehlen.
Diesen Feststellungen ist auch heute kaum noch etwas hinzuzufügen.
Ludwig Nürnberger, Direktor der Universitäts-Frauenklinik in Halle, fasste 1930 den damaligen Kenntnisstand über die Pilzerkrankungen der Scheide auf 12 Seiten zusammen und zitierte alle wesentlichen Autoren. Dabei wird erkennbar, dass es außer den unter dem Abschnitt »Geburtshilfe« zitierten Autoren (> Abschn. 7.2) nur sehr wenige gibt, die sich mit Hefepilzen beschäftigt haben. Außerdem ist auch 1930 das Dilemma des Dimorphismus nicht gelöst, denn er unterscheidet zwischen Soor, Leptothrix und Streptothrix.
So blieb es einer Reihe ausländischer Autoren [z.B. den Amerikanern Plass, Hesseltine und Borts (Plass et al. 1931) u. a.] vorbehalten, die Vulvovagi-nalmykose zu beschreiben.
Mit der Gründung der Gesellschaft für Medizinische Mykologie der DDR am 21.5.1960 in Berlin und der Deutschsprachigen Mykologischen Gesellschaft am 15.1.1961 in Essen, die im August 1991 auf der gemeinsamen Jahrestagung wiederum in Essen vereinigt wurden (die Gesellschaft der DDR hatte sich im Januar 1991 aufgelöst), und mit Nystatin beginnt um 1960 die moderne medizinische Mykologie.
Die Entdeckung des ersten spezifischen Antimykotikums Nystatin hat mit dem Beginn der 60er Jahre einen neuen Impuls zur Erforschung verschiedener Pilzerkrankungen gegeben, von denen auch die Gynäkologen profitierten. Es ist unübersehbar, dass die Unterstützung der Industriefirmen hier wichtig und hilfreich war, doch waren es auch zunächst wiederum Dermatologen und Mikrobiologen, die u. a. gynäkologische Mykosen beschrieben (Polemann, Grimmer, Kalkoff, Schabinski, Gemeinhardt, Rieth, Meinhof, Nolting u. Fegeler, der Internist Wegmann u. a.).
Mit Heinz Spitzbart, Professor an der Universitäts-Frauenklinik Leipzig und später Erfurt, war seit Beginn der 60er Jahre erstmals wieder ein Gynäkologe auf mykologischem Gebiet tätig und ist dieser Thematik mit mehreren Untersuchungen über die Epidemiologie von Vulvovaginalmykosen, deren Behandlung und deren Schwierigkeiten (z. B. Spitzbart 1960, 1993) bis heute treu geblieben.
Philipp Lachenicht, Chefarzt des St.-Franziskus-Hospitals in Bielefeld, unter Mitarbeit von Jürgen Potel, Institut für Mikrobiologie der Medizinischen Hochschule Hannover und später Leiter der Bakteriologischen Forschungsabteilung der Asta-Werke in Brackwede, war einer der Ersten, der systematisch die Frage der Partnerinfektionen kulturell untersuchte und auch eine Speziesdifferenzierung der Hefearten vornahm. In 60% der untersuchten Fälle wurden am Penis des Mannes gleiche Hefearten wie in der Vagina der Frau gefunden, weshalb Lachenicht auf die gleichzeitige Partnerbehandlung Wert legte. Außerdem machte er als einer der Ersten deutlich: »Auffallendstes Ergebnis bei der Auswertung der Differenzierung der Sproßpilzarten war das Überwiegen von Torulopsis glabrata bei den Frauen, die mit der ersten Behandlungskur nicht pilzfrei wurden. Bei einem Sproßpilzwechsel im Verlauf mehrfach notwendiger Behandlungen, der 9mal bei 25 Frauen, d. h. in 36% beobachtet wurde, war Torulopsis glabrata auffällig häufig beteiligt.« (Lachenicht u. Potel 1974)
Im Jahr 1969 wurde das 1967 patentierte, erste antimykotisch wirksame Azol Ciotrimazol von Manfred Plempel (Chefmykologe der BAYER AG Leverkusen) im Pharmaforschungszentrum in Wuppertal entwickelt (Plempel et al. 1969). Plempel (8.4.1930-1.11.1994), ein international hoch geachteter Wissenschaftler, hat durch Förderung mykologischer Fortbildungsseminare, die von Hans Rieth (Hamburg), dem Dermatologen Wolf Meinhof (Aachen) und dem Autor (damals Wuppertal) durchgeführt wurden, wesentlich zum mykologischen Wissen auch der Gynäkologen beigetragen (Müller 1998).
An der Universitäts-Frauenklinik Rostock hatte sich Gerd Neumann mit der vaginalen Keimbesiedelung beschäftigt und zusammen mit der Mikrobiologin Ursula Kaben In-vitro-Untersuchungen durchgeführt und festgestellt, dass Östrogene und Gestagene das Wachstum von Candida albicans und Torulopsis glabrata nicht fördern (Neumann u. Kaben 1971).
Die ersten Untersuchungen zu intravaginalen Erreger-Wirt-Interaktionen entstammen aus der fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen dem Emmendinger niedergelassenen Gynäkologen Brunolf Nold mit Johannes Müller, dem späteren Vorsitzenden der Deutschsprachigen Mykologischen Gesellschaft und Präsidenten der International Society for Human and Animal Mycology (ISHAM). Er hatte mit seinen Mitarbeitern schon frühzeitig die Bedeutung der antigenen Eigenschaften von Hefepilzzelloberflächen für die Wirtreaktion und damit die klinischen Erscheinungen erkannt und mit B. Nold und anderen zwischen 1976 und 1988 untersucht (Müller 1988, Müller u. Nold 1981). Ergebnis dieser soliden Studien sind u. a. erstmalige Erkenntnisse darüber, dass nicht die Vielzahl von Hefepilzzellen, sondern ihre antigene Potenz für die Stärke klinischer Symptome verantwortlich zu sein scheint und dass bei Frauen mit Vaginalmykosen mehr Döderlein-Stäbchen als bei vaginal gesunden Frauen gezählt werden können, die durch eine lokale Azoltherapie nicht entscheidend reduziert werden.
In den letzten Jahren wurde die gynäkologische Mykologie von zwei Entwicklungen geprägt: Einerseits ist als Folge von inzwischen etwa 185 eigenen gynäkologisch-mykologischen Seminaren mit mikroskopischen Übungen ein stark verbesserter mykologischer Kenntnisstand bei Frauenärzten in Deutschland erreicht worden. In den alten Bundesländern ist es seitdem meist üblich, Hefepilzkulturen in der eigenen Praxis anzulegen und oft liegen auch genügend Kenntnisse für eine grobe morphologische Differenzierung zwischen Candida albicans, Candida glabrata und Candida krusei vor. Die erste Gesamtdarstellung gynäkologischer Mykologie für Frauenärzte als Monographie ist inzwischen fast 20 Jahre alt (Mendling 1987).
Andererseits hat sich auch die gynäkologische Mykologie immer mehr immunologischen Fragen zugewandt und es wurden ab etwa 1987 in Deutschland erstmals intravaginale und periphere humorale und zelluläre Mechanismen der Abwehr untersucht (Mendling und Koldovsky 1989, Spitzbart 1993), bisher leider allerdings ohne praktischen Nutzen für die betroffenen Patientinnen. Im Zeichen der auch in der Wissenschaft zunehmenden Globalisierung ist seit ca. 1995 die fruchtbare Kooperation zwischen der Münchner Arbeitsgruppe um Ernst Rainer Weissenbacher mit Steven Witkin von Bedeutung, dem Chef des Instituts für Immunologie am Weill Medical Center der Cornell University New York. Er ist zurzeit wissenschaftlicher Kristallisationspunkt für die gynäkologisch-infektiologische Immunologie weltweit. Zudem steht die gesamte mikrobiologische (und somit auch mykologische) Diagnostik durch neue molekularbiologische Methoden zur Artbestimmung vor einem revolutionären Wandel.
Abschließend sollte betont werden, dass die Untersuchung von Vulvovaginalmykosen trotz ihrer Bedeutung im Alltag zu allen Zeiten nur Steckenpferd einiger weniger Gynäkologen gewesen ist.
Es wäre sehr vorteilhaft, wenn es an einer deutschen Universität einen Lehrstuhl für Mykologie gäbe. Dadurch würden wichtige wissenschaftliche Impulse gesetzt und auch Studierende zur wissenschaftlichen Arbeit, z. B. in Form einer Dissertationsarbeit, motiviert. Die Vorstellung, dass die Mykologie nur als kaum wissenschaftlich bearbeitetes Randgebiet innerhalb der Laboratoriumsmedizin besteht, wird der zunehmenden klinischen Bedeutung dieses Gebietes nicht gerecht. Außerdem sind Gynäkologen und Geburtshelfer aufgerufen, sich mehr als bisher mit diesem Teilgebiet ihres Faches zu beschäftigen. In der Vergangenheit hat es sich dabei als besonders vorteilhaft erwiesen, wenn ein interessierter Kliniker mit einem Wissenschaftler aus einer Universität oder einer Industriefirma zusammenarbeitete (Lachenicht und Potel, Nold und Müller, Schnell und Plempel, Mendling und Plempel). Solche Verbindungen gilt es auch zukünftig zu suchen und zu fördern.
Mykologie in der Geburtshilfe
Der schwedische Oberarzt im Allgemeinen Kinderhause zu Stockholm, Fredrik Theodor Berg, schrieb im Jahre 1846 eine Monographie unter dem Titel »Om Torsk hos barn«, die von dem »Doktor der Medizin und Chirurgie und ausübendem Arzte und Mitgliede des Gesundheitsrathes zu Bremen« Gerhard von dem Busch ins Deutsche übersetzt und unter dem Titel »über die Schwämmchen bei Kindern« (Berg 1848) allgemein bekannt geworden ist. Zwar hatte sich bereits Hippokrates mit den »Aphthen« beschäftigt, und Berg weist auch auf über 150 Schriften und 135 weitere Autoren hin, die das Problem des Neugeborenensoors in den vergangenen 2000 Jahren immer wieder bearbeitet hatten, doch war er der Erste, der den Kausalzusammenhang zwischen dieser Erkrankung und Hefepilzen aufklären konnte. Es »blieben in Ulm bei Neugeborenen und jüngeren Kindern nicht 10 von 100 verschont«, die Krankheit war »mitunter sogar tödlich« (Riedlin 1693, zitiert bei Berg 1948), und im Pariser Findelhaus sollen im Jahre 1741 5 von 6 Kindern an Soor gestorben sein.
Die Zuordnung des neu entdeckten Pilzes bereitete wegen seiner verschiedenartigen Morphologie allerdings noch Schwierigkeiten.
Für den noch unbekannten Dimorphismus der Hefepilze spricht die folgende Beschreibung des Geburtshelfers Louis Mayer (1862): »Aehnliche Verhältnisse finden wir in der Symptomatologie des Soor. Dieser stimmt wie in manchem Anderen so auch hinsichtlich der differenziellen Diagnose mit unserer Verschimmelung überein. Darin nämlich, dass eine sichere Diagnose nur mit Hülfe des Mikroskops zu stellen ist.«
Die Bedeutung der mikroskopischen Beurteilung des Vaginalsekretes war zu früheren Zeiten jedenfalls selbstverständlicher als vielerorts heute, was durch die folgende Kasuistik des damals berühmten Geburtshelfers Eduard Martin (Jena) verdeutlicht wird (Martin 1856):
Am 15. October 1855 wurde die geburtshülfliche Poliklinik zu Jena für die angeblich an lästigem, die Nachtruhe raubendem Brennen und Jucken der Genitalien nebst Schleimfluss leidende Z. in einem benachbarten Dorfe verlangt. … Die gegenwärtigen sehr quälenden Beschwerden leitete sie von einem Besuche des Vogelschiessens in Jena her, bei welchem ihr Gebiether, ein Mühlknappe, sie in ihre Heimath zurückbegleitet hatte. … Nachdem ich die Kranke in die unter meiner Leitung stehende Gebäranstalt am 21. October aufgenommen, ergab die Untersuchung mit dem Speculum eine intensive Röthung und ungewöhnliche Schwellung der ganzen Scheide, und den gedachten weisslich-fleckigen Beleg über die Schleimhaut ausgebreitet. Unter dem Mikroskop erschien dieser Beleg aus einfachen, platten Epithelien, welche zum Theil noch eng aneinander hafteten, aus Schleim und Eiterkörperchen und aus einer Unmasse von Pilzfäden zusammengesetzt und auf das mannigfaltigste verfilzt. … Dieser mikroskopische Befund wurde von den Professoren Schleiden und Domrich bestätigt.
Der Geburtshelfer Winckel aus Rostock beobachtete bereits 1866 richtig, dass Pilze in der Vagina Schwangerer meist von selbst während des Wochenbettes verschwinden.
Der praktische Arzt in Berlin B. Haussmann war wohl der erste deutschsprachige Autor, der sich ausführlich mit der gesamten Vaginalflora auseinander setzte. Seine Monographie »Die Parasiten der weiblichen Geschlechtsorgane des Menschen und einiger Thiere nebst einem Beitrage zur Entstehung des Oidium albicans Rob.« (Haussmann 1870) wurde viel beachtet. Haussmann war der Erste, der darauf hinwies, dass Hefepilze aus der Scheide und dem Darm der werdenden Mutter auf das Neugeborene übertragen werden können und forderte deshalb eine rechtzeitige Behandlung der Schwangeren mit Wassereinspritzungen in die Scheide für die Dauer einer Woche bei leichten Formen oder mit Cuprum sulfuricum bei schwereren Verläufen. Er war der Auffassung, dass etwa bei 11 % der Schwangeren und bei etwa 1-2% der nichtschwangeren Frauen Hefepilze in der Scheide vorkämen. Pilzkulturen gab es damals noch nicht!
Auch der Erfinder des Kaiserschnitts hat sich mit Hefepilzen beschäftigt. Ferdinand Adolf Kehrer, Ordinarius für Frauenheilkunde der Universität Heidelberg 1881-1902, fand um 1883 Hefepilze in der Luft, an den Brustwarzen stillender Mütter, auf Schnullern, in alten Sauggläsern, auf Warzenhütchen, Badeschwämmen, an Bettzeug und an Gegenständen in der Umgebung soorkranker Kinder, im Badewasser, im Stuhl von Kindern, auf Fingern des Wartepersonals und den Händen der Kinder (Kehrer 1883).
Die umfangreichste deutschsprachige Untersuchung über die so genannte Soorkrankheit dürfte von Berthold Epstein (1924) stammen, der sie in Zusammenarbeit mit dem Hygienischen Institut der Deutschen Universität und der Deutschen Universitäts-Kinderklinik in der Böhmischen Landesfindelanstalt Prag anstellte. In Tier- und Laborversuchen, Kasuistiken und prospektiven kulturellen Untersuchungen an hunderten von Müttern, Ammen und Kindern fand er horizontale Infektketten, die er auf die mütterliche Hefepilzkolonisation des Mundes zurückführte. Aus hygienischen Überlegungen und der Sorge vor Keimübertragungen scheute er aber leider vaginale Untersuchungen vor oder während der Geburt und lehnte deshalb die Ansicht Haussmanns ab, dass die kindliche Hefepilzinfektion vertikal während der Geburt entstehe. Dennoch kam er ähnlich wie Haussmann zu der Auffassung: »In weiterer Verfolgung unserer Anschauung von der Übertragung von Soorpilzen von Mutter auf Kind erscheint es uns zweckmäßig, die Behandlung bei den Müttern prophylaktisch schon zur Zeit der Gravidität und in den ersten Wochenbettstagen in Form von Mundspülungen mit borsäurehaltigen Mundwässern einsetzen zu lassen.« (Epstein 1924)
Es vergingen 30 Jahre, bis erstmalig wieder in Deutschland Untersuchungen zur neonatalen Mykose begannen. Der Anstoß dazu kam aus der Universitäts-Hautklinik Hamburg-Eppendorf unter der Leitung des Biochemikers und Dermatologen J. Kimmig, der mit dem damaligen praktischen Arzt Hans Rieth mykologische Untersuchungen durchführte und in die Jahrzehnte geäußerte Forderung Rieths mündete: »Jedes Neugeborene hat einen Rechtsanspruch auf pilzfreie Geburtswege!« (Rüther et al. 1958). Aus dieser Zeit stammt auch die Dissertation »Experimentelle Untersuchungen über das Vorkommen von Hefepilzen bei Neugeborenen und Säuglingen« des späteren Gynäkologen Heinz Malicke (1963).
Der Träger der Ernst-von-Bergmann-Plakette der Bundesärztekammer Hans Rieth (11.12.1914 bis 10.2.1994; Mendling et al. 1994) hat außerordentlichen Einfluss auf die Förderung mykologischen Wissens auch in der Frauenheilkunde gehabt und auch den Autor sehr unterstützt, obwohl er kein Gynäkologe, sondern praktischer Arzt war. Er war Gründungsmitglied der Deutschsprachigen Mykologischen Gesellschaft, Schriftleiter der Fachzeitschrift »mykosen« und 53 Jahre lang ehrenamtlicher Leiter des eigens von ihm und für ihn eingerichteten mykologischen Labors (mit der hervorragenden MTA Vera Splanemann) in der Universitäts-Hautklinik Hamburg-Eppendorf.
Am konsequentesten hat sich Renate Blaschke-Hellmessen aus dem Institut für medizinische Mikrobiologie und Epidemiologie der Medizinischen Akademie »Carl-Gustav-Carus« in Dresden zusammen mit dem Chef der Neonatologie an der Kinderklinik R. Schwarze mit den Untersuchungen zum Vorkommen von Hefepilzen bei Kindern und deren Müttern beschäftigt. Ihr gelang es erstmalig, stammspezifische Merkmale der Spezies Candida albicans (Lipase, Proteinase, Antibiogramm und morphologische Besonderheiten) für epidemiologische Aussagen bei der Ermittlung von Infektketten zwischen Mutter und Kind nutzbar zu machen (Blaschke-Hellmessen 1968). Sie forderte auch eine prophylaktische präpartale Scheidenbehandlung, die in einer prospektiven Untersuchung von Johannes Dieter Schnell seit 1971 in der damaligen Rheinischen Landesfrauenklinik und Hebammenlehranstalt Wuppertal (Schnell 1982) durchgeführt wurde. Dabei gelang es erstmalig nachzuweisen, dass eine präpartale intravaginale Behandlung der Mutter mit Clotrimazol zu einer signifikanten Reduktion der neonatalen Mykose führt. Leider fehlen bis heute moderne Studien zur Bestätigung.
So hat es etwa 100 Jahre ständiger Nachweise und teilweiser Wiederholungen gebraucht, um diese alte Forderung für kurze Zeit sogar zu einer Pflicht in der Mutterschaftsvorsorge zu machen, denn die Kassenärztliche Bundesvereinigung nahm von 1985 bis 1987 die so genannte vaginale Soorprophylaxe in die Mutterschaftsrichtlinien der Kassenärzte auf.
Eigene Untersuchungen an Frühgeborenen und deren Müttern zeigten, dass die Candidämie sehr kleiner Frühgeborener meist nosokomial bedingt ist (Laskus et al. 1998).
Literatur bei
Mendling W. Vaginose, Vaginitis, Zervizitis und Salpingitis.
Springer Verlag Heidelberg 2006